Ihr Webbrowser (Internet Explorer 10) ist veraltet. Aktualisieren Sie Ihren Browser für mehr Sicherheit, Geschwindigkeit und den besten Komfort auf dieser Seite. Browser aktualisieren Ignorieren
Herr Weber, die Siedlung Lerchenberg feiert nächstes Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Können Sie sich noch an die Anfangszeit erinnern?

Aufbruch. Eines der brennenden Themen war damals das eidgenössische Raumplanungsgesetz. Noch vor der Abstimmung suchten Investoren die letzten Baulandparzellen. Grosse Parzellen waren schon damals Mangelware. Die Bodenpreise stiegen in die Höhe. Diese Situation beeinflusste auch die bgh. Im Jahr 1965 waren die Siedlungen Neuguet (1950) und Hirschwiese (1952/53) bereits gebaut. Die Siedlung Staudenbühl war fertiggestellt und konnte bezogen werden. Herr Dr. Huber, damals Präsident der bgh, fand auf dem Hönggerberg Bauland für sein nächstes Projekt. Mitte 1965 kontaktierte er meine Familie. Schon beim 1. Besuch legte er den Baurechtsvertrag vor, der bereits den 20.09.1965 für die notarielle Verschreibung vorsah. Mein Vater liess den Vertrag aber zuerst juristisch überprüfen. Am 11.10.1965 wurde der Vertrag ohne eine einzige Abänderung unterzeichnet.

Was waren Ihre Beweggründe für den Landverkauf der Parzelle «Lerchenhalde» an die bgh?
Nach wie vor bin ich der Ansicht, dass ein angepasster Baurechtsvertag die glücklichere Lösung für beide Parteien gewesen wäre. Mit dem Landverkauf kann ich aber gut leben, zumal ein gutes
Projekt entsteht. Das Schlechteste wäre gewesen, wenn wir den Status Quo mit der unglücklichen Situation des Restaurant belassen hätten. 2013 wurde von unserer Seite bereits der Vorschlag gemacht Verhandlungen aufzunehmen, um der bgh mehr Spielraum für Investitionen zu geben. Die Zeit war damals aber noch nicht reif. Bei den jetzigen Verhandlungen war für mich sehr schön, dass sich die bgh und ich als Vertreter der Baurechtsgeber austauschten. Viele Fragen und kleine Missverständnisse konnten geklärt werden.

«Die Leute sollten im Alter altersgerechte, bezahlbare Wohnmöglichkeiten im Quartier haben, welche dem heutigen Verständnis von Ü60 entsprechen».

Martin Weber, Vertreter der Eigentümergemeinschaft und Baurechtsgeber
Was ist Ihre persönliche Meinung zum geplanten Projekt, welches insbesondere auf die Zielgruppe, «Menschen Ü60» ausgerichtet ist?

Als ich 1977 ins Technikum Winterthur eintrat, sah ich mich nach einer Wohnung in der Gegend um. Auf einem meiner Streifzüge fand ich schliesslich eine Wohnung in einer sehr interessanten
Siedlung, auf deren Flyer zu lesen war: «Stiftung Winterthur Versicherung, Generationen Dialog, mit 60 noch 20 meist gesunde Jahre vor sich.» Die Stiftung war bestrebt eine gesunde Durchmischung der Mieter zu haben (Student, Arzt, Paare, Familien, Ledige, Reichere, Ärmere, Jüngere, Ältere, etc.). Alle Wohnungen entsprachen dem heutigen Verständnis von Ü60. Die Leute sollten im Alter altersgerechte, bezahlbare Wohnmöglichkeiten im Quartier haben. Das Ganze wurde professionell begleitet und auch ausgewertet. Ich kenne also Ü60 seit über 40 Jahren.

Ü60 ist die Lösung für viele Probleme. Altersheime sind so teuer geworden, dass sie den Haushalt unserer Gesellschaft stark belasten. Darüber mag die Oberschicht klagen, denn sie bezahlt das mit den Steuern. Für die Mittelschicht ist es frustrierend zu sehen, wie sich auch grosse Vermögen in Luft auflösen, sobald man ein Altersheim betritt. Nach kurzer Zeit, wenn das Ersparte verbraucht ist, wird man abhängig vom Staat. Dadurch wird viel öffentliches Geld unnötig verbraucht. Geld, das dann oftmals für soziale Zwecke fehlt, was zu Lasten der Unterschicht geht.

Wie kamen Sie zu diesem Landbesitz?
Mein Grossvater, geb. 1894, verlor im Alter von 4 Jahren seinen Vater. Er wurde von seinem Götti, der in Obfelden einen Gasthof (Löwen) und Schlachthof mit Metzgerei hatte, aufgenommen
und später adoptiert. Mein Grossvater Emil, sehr fleissig und ehrgeizig, fühlte sich weder zum Wirt noch zum Metzger berufen. Er sah seine Zukunft in der Landwirtschaft. Er legte seinem Götti ein «Geschäftsmodell mit Business Plan» vor und riet ihm, Gasthof wie auch Schlachthof und Metzgerei zu verkaufen. Das Geld sollte für einen Bauernhof eingesetzt werden. Mein Grossvater konnte überzeugen. Und so zog er als 15-Jähriger mit Gotti und Götti nach Affoltern an den Schauenberg 61. Damals hiess das Gut noch „im Bergli“. Es war ein heruntergewirtschaftetes Anwesen. Die benachbarten Bauern hingegen waren mehrheitlich wohlhabend. Sie schätzten es, wenn mein Grossvater ihnen Arbeit abnahm, sei es beim Heuen, Obst pflücken, Ernte  einfahren, etc. Oft liess er sich für seine Dienste mit Land bezahlen oder er kaufte mit dem erwirtschafteten Geld irgendwo wieder Land. Und so wurde der eigene Hof grösser und grösser.
Mein Grossvater begriff nicht, dass die Schweiz so viel Speck verzehrte und dennoch keine Schweine züchtete. Also baute er eine Schweinezucht auf. Schon bald zählte er 350 Schweine in seinem Stall und konnte damit Zürich gut versorgen. Damit machte er nun wirklich gut Kasse und konnte weiter Land erwerben. Sein Geschäftsmodell ging auf:

  • Ein Bauernhof ausserhalb der Stadt Zürich, um auf günstigem Boden zu produzieren.
  • Dennoch möglichst nahe der Stadt für einen guten Absatz mit höheren Preisen und kurzem Anfahrtsweg.
  • Etwas produzieren, was die anderen nicht haben: Schweine.
  • Der Götti konnte die Schweine im eigenen Betrieb schlachten.
  • Das Schweinefutter, Küchenabfälle, holte er gratis in den grossen Hotels und Restaurants.
  • Dabei konnte er ihnen auch gerade Fleisch verkaufen. Neben dem Schweinefleisch hatte er auch Kalb, Rind und Hühner zu verkaufen sowie Eier, Früchte, Gemüse und später auch Most und Honig.
  • Alles aus einer Hand. Ohne Zwischenhandel. Und es gab keine Leerfahrten.

Ein sehr erfolgreicher Mann, mein Grossvater, der es mit Geist und viel Einsatz zu viel gebracht hat. Doch er zahlte einen hohen Preis. Mit 58 machte sein Herz nicht mehr mit. Er hatte sich überarbeitet. Mit 66 starb er. Das Land ging an seine 4 Nachkommen, ich bin einer der Enkel (insgesamt gab es 11 Enkel, 9 leben noch).

 

Welche interessanten Hintergrundinformationen zum Landstück, auf welchem die heutige Siedlung Lerchenberg steht, können wir Ihnen entlocken?

Der alte Flurname für den Lerchenberg lautete «Kirchenberg» später «Zwyden». Die Parzelle wurde vom Pfarrer bewirtschaftet und grenzte direkt an Höngg. Eine äusserst brisante Angelegenheit. Denn bis ins Jahr 1683 war Affoltern eine Filiale von Höngg. Da der sonntägliche Kirchgang lang und mühselig war, forderten die Affoltemer eine eigene Kirche (alte reformierte Kirche im Unterdorf, gebaut 1683). Der Bau wurde zu einem grossen Teil aus der Kirchenkasse von Höngg bezahlt, was die Höngger gar nicht gut fanden. So entstand eine regelrechte Feindschaft der beiden Gemeinden, die bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts andauerte. Jeden Samstag nach getaner Arbeit trafen sich die Jugendlichen der beiden Gemeinden an der
Gemeindegrenze und verprügelten sich. Meine beiden Onkel zelebrierten diesen Brauch noch. Es gab auch einen Schlachtruf: «Höngger Pöschä, frässäsd die Fröschä, schluckäd si abä, die grusigä Haglä!». Ein kaum befahrbarer Trampelpfad verband die beiden Gemeinden. Bei der zweiten Stadterweiterung im Jahre 1934 wurde dann eine richtige Strasse gebaut, die  Schauenbergstrasse.

Wir kennen Sie alle als «den Baurechtsgeber» der Siedlung Lerchenberg. Was verraten Sie uns zu Ihnen als Privatperson?

Meine Kindheit habe ich mehrheitlich in Zürich verbracht. Als erste Berufsausbildung habe ich eine Lehre als Metall-Laborant absolviert. Anschliessend habe ich am Technikum einen Studiengang in Chemie und einen weiteren als Textil-Ingenieur abgeschlossen. In der Folge habe ich bei Ciba Geigy gearbeitet. Meine damalige Arbeitstätigkeit hat mich häufig ins Ausland geführt. Ich habe 5 Jahre in Kenia verbracht und viele weitere Länder kennengelernt. Im Alter von 35 Jahren bin ich die Schweiz zurückgekehrt. In der Romandie habe ich die Leitung eines Labors übernommen und gleichzeitig mein Französisch aufpoliert. Danach habe ich in einem Textilbetrieb in St. Gallen gearbeitet, bis ich mich – genug der intellektuellen Tätigkeiten –  Schliesslich der Berufstaucherei zugewandt und mich dem Schweissen und Betonieren unter Wasser gewidmet habe. Nach einem schweren Autounfall wurde ich 49-jährig dazu gezwungen,  beruflich kürzer zu treten. Ich bin in der Folge über die Nebelgrenze ins schöne Toggenburg gezogen. Die Hälfte der Zeit verbringe ich mit Wald- und Gartenpflege. In der anderen Hälfte betätige ich mich intellektuell. Besonders intensiv beschäftige ich mich mit Transkriptionen der Sütterlin-Schrift. Ich «übersetze» gerade ein 200 Seiten umfassendes Tagebuch. Ausserdem bin ich  Vorstandsmitglied der genealogischen Gesellschaft Zürich und bin bei den Freunden des Staatsarchivs sowie den Bibliophilen tätig. Ganz wichtig ist mir auch das Reisen. Jedes Jahr erkunde  ich ein fremdes Land. In Namibia, Angola und in Südafrika war ich teils mit dem Auto, teils mit meiner Enduro unterwegs. Auch bin ich schon mit dem Pferd von Peking nach Moskau geritten und  von Cousteau inspiriert in der Gegend um den Mount Kenia herum getaucht, das höchste Tauchgebiet befand sich auf 3782 Metern über Meer. Im letzten Winter (2017/2018) habe ich den Jakobsweg unter die Füsse genommen. Ich habe die 3765km in Tagesetappen von 20-47km absolviert und mein Ziel in 89 Tagen erreicht.

Dieses Interview ist im Jahresbericht 2018 erschienen.